Translationale Zentren - ein Weg für Innovationen

 

Brennpunkt Onkologie am 30.11.2016: Translationale Zentren - ein Weg für Innovationen.

Der rasante Wissenszuwachs über die Entstehung von Krebs hat die Möglichkeiten zur Krebsdiagnose und -therapie enorm erweitert. Allerdings ist der Weg vom Labor zum Krankenbett noch immer weit. Wie kommen Innovationen schnell und sicher in die klinische Anwendung? Mit dieser Frage befasst sich das Programm einer Arbeitsgruppe aus Ärzten, Patientenvertreter, Krankenkassenvertretern und Politikern, das beim Brennpunkt Onkologie am 30.11.2016 vorgestellt und diskutiert wurde.

Peter Albers: „In unserem Gesundheitswesen fehlen die Strukturen für den Transfer sinnvoller Innovationen in die Regelversorgung.“

Prof. Dr. Peter Albers
Quelle: Georg Roither

Leider komme es immer wieder vor, dass nicht-medikamentöse Neuerungen ungeprüft und ohne Qualitätsvorgaben in die Krebsversorgung drängen, so Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft. Als Beispiel führte Albers die minimal-invasive roboterassistierte radikale Prostatektomie in der Uroonkologie an: „Ob der Eingriff mit Roboter besser ist als ohne, ist in Studien nicht untersucht. Die Evidenz für die Vorteile der Methode stammt aber lediglich aus großen Fallsammlungen. Dennoch fragen Patienten diese Leistung nach, weil sie von angeblichen Vorteilen gehört haben und modern therapiert werden wollen. Ähnlich ist die Situation im diagnostischen Bereich, etwa beim Einsatz genetischer Tests zur Unterstützung der Therapieentscheidung. Bei vielen Leistungen an der Schwelle zur Regelversorgung, besonders in der modernen Diagnostik, wissen wir nicht genau, wie sie im Vergleich zum etablierten Standard abschneiden.”

Johannes Bruns: „Die Erprobung von Innovationen an translationalen Zentren könnte für mehr Datensicherheit sorgen.“

Dr. Johannes Bruns
Quelle: Georg Roither

„Krankenhäuser in Deutschland arbeiten auf der Grundlage eines Verbotsvorbehalts. Ds heißt, sie haben keine Beschränkungen, innovative Leistungen anzuwenden, die nicht explizit verboten sind. Das gilt auch für nicht-medikamentöse Leistungen, die noch nicht im DRG-System abgebildet sind“, erläuterte Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. Um diese Leistungen trotzdem erstattet zu bekommen, beantragen Kliniken üblicherweise Entgelte für Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, sogenannte NUB-Entgelte. Normalerweise dauert es zwei Jahre, bis die bis dahin kalkulierten Entgelte in den DRG-Katalog aufgenommen sind. Die Häuser, die eine Innovation einsetzen wollen, müssen also bis zum Erreichen eines angemessen kalkulierten Preises in Vorleistung treten; nicht alle können das. Bruns: „Einerseits behindert das den Transfer sinnvoller Innovationen in die Versorgung. Und andererseits führt die Freigabe über das DRG-System nicht automatisch dazu, dass die notwendigen vergleichenden klinischen Studien zum Nutzennachweis der entsprechenden Innovationen auch stattfinden.” Dabei sei die gesetzliche Grundlage zur „Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" durchaus vorhanden, und zwar in Form von § 137e SGB V. Man müsse diesen Rahmen nur nutzen. „Das Programm, das hier zur Diskussion steht, sieht vor, dass Innovationen eine Probezeit durchlaufen, in der sie nur über sogenannte translationale Zentren eingesetzt und evaluiert werden. Die Zentren erhalten einen Zuschlag für besondere Aufgaben, im Gegenzug verpflichten sie sich zur Transparenz bezüglich der Behandlungsdaten, zum Beispiel indem sie entsprechende Studien durchführen und publizieren. Am Ende der Probezeit wird dann über die Aufnahme in die Regelversorgung entschieden“, erklärte Bruns. Mit einem solchen System könnten medizinische Innovationen schneller und letztendlich auch mit einer höheren Datensicherheit in die Regelversorgung überführt werden.

Hubert Schindler: „Die gegenwärtigen Regelungen im SGB V sind für einen Innovationstransfer zu schwerfällig.“

Dr. Hubert Schindler
Quelle: Georg Roither

Dr. Hubert Schindler, S.M.S. Consulting, Frankfurt/Main, plädierte für die Schaffung neuer Regelungen im SGB V und bezog sich dabei auf die Erfahrungen mit dem 1995 etablierten Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. Die Zentren des Konsortiums erheben wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über erblich bedingte Gendefekte mit klinischer Bedeutung und haben die Aufgabe, die Genanalyse in ein klinisches Konzept für die Versorgung bei Brust- und Eierstockkrebs einzubetten. Seit dem Wegfall einer speziell genutzten Regelung in Paragraph 116b SGB V sei die Vertragslage der einzelnen Konsortialzentren unübersichtlich. „In der modernen Gendiagnostik ergeben sich permanent Innovationen, die Anpassungen der Verträge notwendig machen. Dafür ist Paragraph 137e einfach zu schwerfällig.“ Schindler betonte in seinem Statement außerdem die Bedeutung der Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen sowie mit besonders qualifizierten und zertifizierten Brustzentren und gynäkologischen Krebszentren. „Eine solche Zusammenarbeit der Kooperationspartner wird vom Konsortium derzeit ausgebaut und ist für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten ein wesentlicher Vorteil.“

Ursula Marschall: „Innovationen müssen sicher und wohnortnah beim Patienten ankommen.“

Dr. Ursula Marschall
Quelle: Georg Roither

„Auch wenn die Kassen keine Forschung finanzieren dürfen, so haben sie doch ein großes Interesse daran, dass Innovationen sicher sind und wohnortnah beim Patienten ankommen“, betonte Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der BARMER. „Translationale Zentren bieten sicherlich die Möglichkeit, die Versorgung in dieser Hinsicht zu optimieren. Für die Kassen ist der Transfer von Innovationen in die Versorgung kein primäres Wettbewerbsfeld ‒ sie arbeiten hier sehr intensiv zusammen, auch kassenartenübergreifend. Dennoch stehen sie untereinander im Wettbewerb. Wenn es also um Zusatzbeiträge geht, um die Leistungen der translationalen Zentren zu finanzieren, dann muss dieser Aspekt sicher berücksichtigt werden.“

Bernhard Egger: „Wir brauchen eine bessere Strukturierung der Versorgung.“

Dr. Bernhard Egger
Quelle: Georg Roither

Als Grundsatzposition formulierte Dr. Bernhard Egger für den GKV-Spitzenverband: „Medizinische Innovationen sollen so schnell wie möglich allen Versicherten zur Verfügung stehen. Die Bedingung: Der patientenrelevante Nutzen der Innovationen muss vor der flächendeckenden Einführung belegt sein.” Deshalb sei es kontraproduktiv, wenn die Kassen alles in allen Krankenhäusern erstatten und darüber hinaus ausgewählte studiendurchführende Häuser extra finanzieren müssen. Weder Patienten noch Krankenhäuser haben großes Interesse an randomisierten Studien, wenn sie wissen, dass die Leistung in der Nachbarklinik auch außerhalb von Studien angeboten wird. Daran würden auch translationale Zentren nichts ändern. „Bei der Auswahl der Zentren sollte man auf konkrete klinische Studienprojekte und Fragestellungen abstellen. Wenn die Qualitätskriterien für eine Studie erfüllt werden, dann ist es letztlich gleichgültig, ob sie von einem Universitätsklinikum oder einem Kreiskrankenhaus durchgeführt wird.“ Eine Strukturierung der Versorgung und die Etablierung von Versorgungspfaden sei auch ganz grundsätzlich überfällig. „Der bestehenden Vielfalt an Versorgungsebenen in der Onkologie noch eine weitere hinzuzufügen, ist wenig sinnvoll, solange nicht klar ist, welche Patientengruppen wo am besten versorgt werden können.“

Christof von Kalle: „Ressourcen für die Erhebung von Daten müssen im Vergütungssystem abgebildet sein.“

Prof. Dr. Christof von Kalle
Quelle: Georg Roither

„Beim Transfer von Innovationen in die Versorgung geht es nicht allein um die Frage, was die Kassen leisten können“, erklärte Prof. Dr. Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. „Einige der Fragen, die wir beantworten müssen, sind Forschungsfragen und unser primärer Adressat für eine Finanzierung der entsprechenden Untersuchungen ist nach wie vor das Forschungsministerium, möglicherweise in Zukunft verstärkt auch das Gesundheitsministerium.“ Eine zentrale Aufgabe der translationalen Zentren sei die Erfassung von Daten, und zwar entlang des gesamten Verlaufs einer Krebserkrankung. In dieser Hinsicht bestehe noch eine Menge Nachholbedarf im deutschen Gesundheitssystem. Das Erheben und Auswerten dieser Daten koste jedoch Geld ‒ dieser Aspekt müsse auch im Vergütungssystem abgebildet sein. Beim Aufbau der translationalen Zentren sollten nicht nur die onkologischen Spitzenzentren in Betracht gezogen werden. Viele der Universitätszentren seien „hidden champions“ mit Stärken in speziellen Bereichen. „Letzten Endes muss man über die Frage, wie man mit entsprechenden Programmen in die Fläche geht und Zugangsgerechtigkeit schafft, sehr gut nachdenken“, so von Kalle.

Regina Klakow-Franck: „Es geht um Netzwerke, nicht um isoliertes Expertenwissen.“

Dr. Regina Klakow-Franck
Quelle: Georg Roither

„Angesichts der wachsenden Innovationsdynamik ist aus meiner Sicht vor allem eine stärkere Vernetzung von Forschung und Versorgung in der Onkologie wünschenswert“, sagte Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses. „Eine isolierte Konzentration des Expertenwissens an völlig neuen Strukturen wäre für mich hingegen kein Weg in die Zukunft. Vielmehr sollte es um die Gründung von Netzwerken gehen. Die Aufgaben für diese Netzwerke sind bereits angeklungen: Da sind zum einen medizinische Fragestellungen ‒ bei fast jeder frühen Nutzenbewertung neuer Onkologika mahnt der Gemeinsame Bundesausschuss an, dass nicht genügend Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität geliefert wurden. Dazu kommen die sektorenübergreifende Qualitätssicherung sowie der Umgang mit Big Data. Vor allem aber müssen wir, neben der Optimierung der Versorgung derjenigen, die schon an Krebs erkrankt sind, mehr in Früherkennung und Prävention investieren. Bisher nehmen weniger als die Hälfte der Frauen und nur etwa ein Viertel der Männer an Krebs-Früherkennungsuntersuchungen teil. Da besteht enormer Verbesserungsbedarf. Es wäre eine Fehlallokation der begrenzten Ressourcen in unserem System, wenn der Fokus in der Onkologie ausschließlich auf die Förderung von Arzneimittelinnovationen und die entsprechenden evaluierenden Zentren gerichtet würde.“

 

 

 

Die Referenten:

Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft
Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft
Dr. Bernhard Egger, Leiter der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband
Prof. Dr. Christof von Kalle, Geschäftsführender Direktor NCT Heidelberg, Leiter der Abteilung Translationale Onkologie
Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
Dr. Ursula Marschall, Leitende Medizinerin bei der BARMER
Dr. Hubert Schindler, S.M.S. Consulting, Frankfurt/Main

Moderation: Thomas Hegemann

 

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