Pressearchiv 2016

 

Brustkrebs beim Mann

Peter Jurmeister, Netzwerk „Männer mit Brustkrebs“ (Foto: privat)

Brustkrebs gilt als typische Frauenerkrankung. Weniger bekannt ist, dass auch Männer davon betroffen sein können. Peter Jurmeister, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks „Männer mit Brustkrebs“ geht im Interview auf die Besonderheiten der Erkrankung beim Mann ein.

Herr Jurmeister, Brustkrebs beim Mann hat in der Regel eine schlechtere Prognose als bei der Frau. Woran liegt das?

Peter Jurmeister: Im aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts „Krebs in Deutschland“ finden Sie Angaben zum 10-Jahres-Überleben, getrennt aufgeführt für Männer und Frauen. In der Tat zeigt sich  dabei ein deutlicher Unterschied: Für brustkrebserkrankte Männer liegt die relative 10-Jahres-Überlebensrate bei 65 Prozent, für die betroffenen Frauen bei 82 Prozent. Wohlgemerkt, es handelt sich hier um Überlebensraten, die die krebsbedingte Sterblichkeit abbilden. Dieser Unterschied lässt sich nur schwer erklären, vor allem, wenn man bedenkt, dass der weit überwiegende Teil dieser Tumoren beim Mann durch weibliche Hormone zum Wachsen angeregt wird und durch eine Antihormonbehandlung eigentlich gut behandelbar sein sollte. Die einzige Erklärung, die die Experten derzeit für diese schlechtere Prognose haben, ist, dass Brustkrebs beim Mann später diagnostiziert wird.

Sind Männer zu wenig sensibilisiert dafür, dass sie von Brustkrebs betroffen sein können?

Peter Jurmeister: Eigentlich sollte man annehmen, dass sich ein Knoten in der männlichen Brust relativ leicht ertasten lässt. Aber für die späte Diagnose sind mehrere Faktoren verantwortlich: Brustkrebs beim Mann ist mit ca. 600 Neuerkrankungen jährlich relativ selten, verglichen mit jährlichen Neuerkrankungsraten von über 69.000 bei der Frau. Dass es diese Erkrankung auch beim Mann geben kann, ist vielen nicht bewusst. Männer sind ohnehin zögerlicher, was den Arztbesuch angeht. Wenn sie sich dann doch dazu entschließen, wer genau ist der richtige Ansprechpartner? Für eine betroffene Frau ist der Weg klar vorgezeichnet – sie wendet sich an ihren Frauenarzt. Beim Mann kommen Hausarzt, Gynäkologe, Urologe, oder der Hautarzt in Frage. Und selbst wenn der Gang zum Arzt stattgefunden hat, heißt das noch lange nicht, dass der die Erkrankung auch gleich richtig diagnostiziert. Nicht selten werden Tastbefunde in der Brust zunächst als harmlose Geschwulste behandelt, bevor die endgültige Diagnose gestellt wird. Für die Betroffenen ist es außerdem oft schwer, zu akzeptieren, dass sie eine „Frauenkrankheit“ haben sollen. Damit zum Arzt zu gehen, ist schambelastet. Das alles kann dazu beitragen, dass der Krebs oft erst spät erkannt wird.

Wie gut ist unser Gesundheitssystem für die Behandlung solch seltener Erkrankungen gerüstet?

Peter Jurmeister: Während der sechs Jahre unserer Tätigkeit meldeten sich 10 bis 12 Männer bei uns, die von niedergelassenen Gynäkologen abgewiesen wurden, weil diese befürchteten, sie könnten die Behandlung nicht mit der Kasse abrechnen. So bedurfte es erst einer Petition eines ‒ allerdings anderweitig erkrankten ‒ Mannes an den Landtag in Baden-Württemberg, damit die entsprechende kassenärztliche Vereinigung aktiv wurde und die Gynäkologen in einem Rundschreiben über die Abrechnungsmöglichkeiten der Behandlung von Männern informierte. Da besteht offensichtlich noch eine Menge Aufklärungsbedarf.

Gibt es charakteristische Unterschiede in der Behandlung von männlichem und weiblichem Brustkrebs?

Peter Jurmeister: Aus Studien wissen wir, dass Brustkrebs bei weit über 90 Prozent der Männer hormonabhängig wächst. Das heißt, nach der operativen Entfernung des Tumors steht eine Antihormonbehandlung im Vordergrund. Üblicherweise kommen dabei Behandlungsmethoden zum Einsatz, die sich auch bei der Frau bewährt haben, z.B. das Tamoxifen, das die Andockstellen für das Hormon Östrogen im Tumor blockiert. Doch Tamoxifen ist eine Medikamentenvorstufe, die nach Einnahme in der Leber erst in den aktiven Wirkstoff umgewandelt werden muss. Es ist schon lange bekannt, dass sich Männer und Frauen hinsichtlich ihres Leberstoffwechsels unterscheiden. Was diese Unterschiede für die optimale Dosierung oder für das Nebenwirkungsprofil von Tamoxifen beim Mann bedeuten, ist aber noch nicht gut untersucht.

Welche Selbsthilfeangebote können betroffene Männer in Anspruch nehmen und wo finden sie Experten, die ihnen weiterhelfen können?

Peter Jurmeister: Unser Netzwerk „Männer mit Brustkrebs“ existiert seit 2010 unter dem Dach der Frauenselbsthilfe nach Krebs; seit 2014 sind wir als eingetragener Verein aktiv. Wir arbeiten bundesweit und treffen uns ein- bis zweimal im Jahr als Gruppe. Derzeit sind bei uns 50 betroffene Männer Mitglied, wir nehmen in unser Netzwerk aber auch weibliche Angehörige auf. Wir betreiben eine Webseite mit Informationsangeboten, außerdem kann man über Mail und Telefon Kontakt mit uns aufnehmen oder uns auf Patiententagen treffen. Über die Frauenselbsthilfe haben wir Zugang zu den zertifizierten Brustkrebszentren. Diese Zentren bieten eine qualitätsgesicherte Behandlung für weiblichen Brustkrebs – daran orientiert sich ja auch die Therapie beim Mann. Die Gruppe der betroffenen Männer ist klein, damit lassen sich keine großen, wirtschaftlich interessanten Fallzahlen generieren. Umso wichtiger, dass Studien wie das neue N-Male-Projekt ins Leben gerufen werden, die Aufschluss über die besonderen medizinischen und psychosozialen Bedürfnisse von männlichen Brustkrebspatienten geben können. 

Das Interview führte Dr. Katrin Mugele für die Deutsche Krebsgesellschaft.

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