Überleben reicht?

 

Brennpunkt Onkologie vom 28.09.2016: Überleben reicht? Gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Im Herbst 2015 fand ein Brennpunkt Onkologie zum Thema „Langzeitüberlebende nach Krebs – oder: Wie lange ist ein Patient ein Patient?“ statt. Am Ende hatten Referenten und Teilnehmer eine Liste von Ideen erarbeitet, die die Situation von Patienten während und nach einer Krebserkrankungen verbessern sollte. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichten von Verbesserungen beim beruflichen Wiedereinstieg, über die Einführung von konkreten Bildungsmaßnahmen für Patienten nach einer Krebsdiagnose bis hin zu medizinischen Aspekten.

Dieses Paket wurde zwischenzeitlich gemeinsam mit Patienten und Sozialarbeitern strukturiert und weiterentwickelt und im Brennpunkt Onkologie am 28.09.2016 vorgestellt. Betroffene sowie Gäste aus Politik, Sozialversicherung und Krebsberatungsstellen waren eingeladen, die vorgeschlagenen Maßnahmen zu diskutieren.

Arik Hayut: „Jeder Krebspatient ist ein Einzelfall und hat einen individuellen Informations-, Beratungs- oder Unterstützungsbedarf bei der Frage, wie es jetzt und in Zukunft weitergehen soll.“

Arik Hayut
Quelle: Babnik/DKG

Der Brennpunkt Onkologie begann mit zwei Interviews mit Betroffenen. Arik Hayut (Musiker) und Franziska Krause (Studentin) sprachen über ihre Krebserkrankungen und den Weg zurück ins Leben. Krebspatienten seien generell in einer schwierigen persönlichen Situation, sagten beide. „Es gibt nach der Diagnose unheimlich viel zu bewältigen, unheimlich viel zu koordinieren“, so Franziska Krause. Neben einer anstrengenden Therapie, der Angst vor dem Tod, der Konfrontation mit körperlichen Beeinträchtigungen und dem Verlust an Selbstständigkeit seien Menschen im erwerbsfähigen Alter – und das sind bei Krebsdiagnose 35 Prozent der Betroffenen – zudem von Arbeitsunfähigkeit und Armut bedroht. Dem gelte es vorzubeugen. „Die sozialrechtlichen Zuständigkeiten überblickt aber niemand“, so Arik Hayut. „Zudem habe ich als freiberuflicher Musiker einen anderen Informations-, Beratungs- oder Unterstützungsbedarf als ein anderer Betroffener, wenn es um die Frage geht, wie es jetzt und in Zukunft weitergehen soll. Das muss man beachten. Jeder Krebspatient ist ein spezieller Fall. Aber jeder möchte nach seiner Erkrankung wieder am Leben teilhaben und arbeiten gehen und sein Geld verdienen und ein wertvoller Teil der Gesellschaft sein.“

Franziska Krause: „Ich musste zehn verschiedenen Personen mein Leben erzählen, wie es gerade ist. Es wäre besser, wenn man ab der Diagnose einen zentralen Ansprechpartner hat, der individuell hilft."

Franziska Krause
Quelle: Babnik/DKG

Franziska Krause ergänzte: „Es gibt viele Beratungsstellen, auch bei den Sozialversicherungsträgern. Jeder macht Beratung, und das ist natürlich gut. Schwierig ist aber: Ich musste mein Leben, wie es gerade ist, zehn verschiedenen Personen erklären und immer wieder erklären. Besser wäre es, wenn es ein One-Stop-Servicecenter gäbe mit einem zentralen Ansprechpartner. Der kann mich coachen, ich habe eine Vertrauensperson, er gibt meinen Bedarf weiter und weiß, wen er noch ins Boot holen sollte, um meine Bedürfnisse, meine Probleme gerade zu lösen und ich muss meine Geschichte nicht immer wieder aufs Neue aufrollen. Dafür gibt es derzeit kein Gerüst, aber ich glaube, ein solcher Ansatz kann weit tragen." Ein solches Servicecenter müsse nicht nur für Krebserkrankte da sein, sondern für alle schwer Erkrankten, die mit vielen alltäglichen Dingen bis hin zu existenziellen Fragen und den Langzeitfolgen ihrer Erkrankung kämpften.

Dr. Johannes Bruns: „Betriebliche Wiedereingliederung gelingt, wenn in der Personalabteilung jemand sitzt, der mehr tut, als er muss.“

Dr. Johannes Bruns
Quelle: Babnik/DKG

Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, berichtete über Gespräche mit verschiedenen Arbeitgebern zum Thema berufliches Eingliederungsmanagement nach §84, Absatz 2 SGB IX. „Demnach sind die Arbeitgeber in der Pflicht, sich um die Wiedereingliederung ihrer Mitarbeiter im erwerbsfähigen Alter zu kümmern. Für den Arbeitgeber ist das zunächst ein Interessenkonflikt: Er muss jemanden schützen, der nach Erkrankung eventuell nicht mehr so leistungsfähig und belastbar ist. Dabei gibt es auf dem Arbeitsmarkt vielleicht 20 andere, die diesen Job nun schneller und besser hinkriegen würden. Die Arbeitgeberposition ist also eher eine gesellschaftliche Position – der Arbeitgeber übernimmt den Auftrag, den die Gesellschaft formuliert hat: Wir wollen für erkrankte Menschen was tun, wir wollen, dass sie wieder Teil der Gesellschaft sind, dass sie nicht in der Mitte des Lebens in Perspektivlosigkeit fallen, wir wollen Teilhabe ermöglichen, und dabei spielen Arbeit und ein Arbeitsplatz eine entscheidende Rolle.

Kann das jede Firma leisten? Ich habe bei kleinen Handwerksbetrieben angerufen: Da tauchte das Problem gar nicht auf. Wie kann denn eine berufliche Wiedereingliederung in einer Malerfirma mit zwei Angestellten gelingen? Gar nicht. Obwohl sie hier sicher auch notwendig wäre, aber der Malermeister kann sich das schlichtweg nicht leisten. Die Deutsche Bahn wiederum sagt: Ja, wir machen BEM, wir haben eine Verantwortung. Allerdings sagt sie auch: Bei Rückenpatienten ist es viel einfacher als bei onkologischen Patienten, denn ein Lungenkrebspatient unterscheide sich in seiner Situation nach der Erkrankung von einer Brustkrebspatientin klar in seinem Bedarf. Es gibt eben nicht DEN Krebspatienten, das macht die Wiedereingliederung zu einem Einzelfallthema. Und daran sehen Sie ein Stück weit die Grenzen eines solchen gesellschaftlichen BEM-Auftrags auch in Großunternehmen. Was aus all meinen Telefonaten klar ersichtlich wurde: BEM gelingt, wenn in der Personalabteilung jemand sitzt, der mehr tut, als er muss. Der jeden einzelnen Fall individuell umzusetzen versucht und sich immer wieder aufs Neue engagiert und nicht das Standardprogramm abarbeitet. Der so lange die Krankenkasse, Rentenversicherung etc. nervt, bis jemand sagt: Ok, ich helfe Ihnen. Der auf diese Art eine optimale Lösung für das Unternehmen und für den erkrankten Mitarbeiter findet, die nicht unbedingt im Gesetz steht. Diesen integrativen Ansatz finde ich sehr gut.“

Anne Katrin Hülsmann: „Jeder zweite Krebspatient ist mittlerweile im erwerbsfähigen Alter. Ein Drittel aller Krebsüberlebenden ist jedoch ohne Arbeit, von Armut bedroht. Wir vom Verein Leben nach Krebs! sehen einen dringenden Bedarf, das zu ändern.“

Anne Kathrin Hülsmann
Quelle: Babnik/DKG

„Gesellschaftliche Teilhabe bedeutet, in eine Gemeinschaft integriert zu sein, sich als Teil von ihr zu verstehen und sich mit ihr verbunden zu fühlen", so Anne Katrin Hülsmann vom Verein Leben nach Krebs! e.V. aus Berlin. Wer im erwerbsfähigen Alter sei, fühle sich vor allem dann in die Gesellschaft integriert, wenn er oder sie arbeiten gehen kann. Allerdings gestalte sich der berufliche Wiedereinstieg nach einer Krebserkrankung auf vielen Ebenen schwierig, sagt Anne Katrin Hülsmann und nennt konkrete Herausforderungen: „Während man als Patient während der Behandlung zumeist rundum betreut wird, steht man als Krebsüberlebender nach der Behandlung zumeist allein da. Die sozialrechtliche Situation ist sehr unüberschaubar. So hängt die Zuständigkeit der Kostenträger davon ab, ob man arbeitssuchend, angestellt, selbstständig oder noch krankgeschrieben ist. Ein einziger Dschungel. Orientierung aus erster Hand, aus einer Hand, wäre wünschenswert, gibt es aber oft nicht. Das Beratungsangebot ist vielfach einfach zu komplex und zu kleinteilig. Die Agentur für Arbeit ist zum Beispiel schon mit dem Doppellabel Akademikerin und Schwerbehinderte überfordert. Es gibt keinen Zuständigen für beide Bereiche, ganz zu schweigen von einem Verständnis für die Fatigue nach Krebs oder andere Spätfolgen. Auch die Kostenträger sind wenig über Spätfolgen aufgeklärt. Eine Indizierung der Fatigue fehlt derzeit vollkommen und eine Frühberentung ist in diesem Fall nur dann möglich, wenn man sich als depressiv ausgibt. Das wiederum führt zu Missverständnissen und Fehlkommunikation mit anderen Ärzten. Hier besteht Aufklärungsbedarf."
Viele berufliche Wiedereinstiegsmodelle greifen zudem nicht, so Anne Katrin Hülsmann. Das Hamburger Modell beschränke sich rein auf zeitliche Vorgaben des Wiedereinstiegs. Das werde einer auf längere Zeit veränderten Leistungsfähigkeit nicht gerecht. Die Gesellschaft bzw. der Arbeitgeber erwarte, dass ein betroffener Arbeitnehmer nach Ablauf einer zeitlichen Frist wieder seine alten Aufgaben übernehmen und das vorherige Stundenpensum leisten könne. "Das gelingt aber nicht allen Krebsüberlebenden wie gewünscht", sagt Anne Katrin Hülsmann. "Daher sollten zunächst beim Wiedereinstieg folgende wichtige Fragen geklärt werden: Wie belastbar ist die Person? Kann sie beispielsweise noch verreisen, kann sie Vorträge halten oder schwere körperliche Arbeit leisten? Welche Aufgaben - auch neue - kann sie im Betrieb übernehmen? Diese und andere Fragen sollten in einem vertraulichen Wiedereingliederungsgespräch geführt werden, so wie es das BEM, das berufliche Eingliederungsmanagement, bereits vorsieht. Bisher nutzen nur leider viel zu wenig Arbeitgeber dieses Verfahren. Insgesamt wäre ein flexiblerer Arbeitsmarkt wünschenswert, mit Home Office, Minijobs, Arbeitszeitkontenmodellen, Weiterbildungsmaßnahmen, Arbeitsplatzanpassung und einem längeren und noch flexibleren Wiedereinstieg, als es das Hamburger Modell vorsieht." Diejenigen, die sich früh berenten lassen müssen, sollten die Möglichkeit haben, ihre niedrigen Renten aufstocken zu können. Das sei zur Zeit nur bis zu einem Betrag von 450 Euro möglich, erklärt Anne Katrin Hülsmann. Gerade junge Krebsüberlebende haben durch ihre oft geringen Einzahlungen eine so niedrige Rente, dass selbst diese Aufstockung, wenn sie überhaupt möglich ist, nicht die Grundkosten abdeckt. „Es wäre daher sinnvoll, die Erwerbsminderungsrente auf ein existenzsicheres Niveau anzuheben.“
Diese und weitere Aspekte führten dazu, dass Krebsbetroffene deutlich stärker von Arbeitslosigkeit bedroht bzw. betroffen seien als Gesunde. „Momentan leben in Deutschland mehr als 100.000 Krebsüberlebende im erwerbsfähigen Alter ohne Arbeit, von Armut bedroht. Wir sehen einen dringenden Bedarf, das zu ändern und engagieren uns in dieser Sache“, erläutert Anne Katrin Hülsmann. Um Betroffenen zu helfen, biete der Verein Leben nach Krebs! gemeinsam mit der Berliner Bildungseinrichtung KOBRA die Workshop-Reihe „Zurück ins Arbeitsleben nach Krebs“ an. Ziel der Workshops sei es, die Teilnehmenden über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und sie zu empowern, d. h. ihr Selbstvertrauen zu stärken, ihnen die notwendigen Informationen an die Hand zu geben, damit sie aktiv werden können. Wichtige Fragestellungen seien dabei vor allem, die eigene Belastbarkeit einschätzen zu können, Möglichkeiten einer beruflichen Neuorientierung zu eruieren und eine Bewerbungstrategie zu entwickeln. Anne Katrin Hülsmann: „Unsere Zielgruppe ist im erwebsfähigen Alter. Der Wiedereinstieg betrifft uns alle: nicht nur die Betroffenen, sondern genauso die Arbeitgeber, die Institutionen, wie Versicherer, und das Arbeitsamt. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe als Betroffene für Betroffene. Da entsteht sofort ein Gefühl der Solidarität, denn keiner versteht einen Krebsüberlebenden besser als ein anderer Krebsüberlebender. Wir geben Krebsüberlebenden im erwerbsfähigen Alter eine Stimme. Wir setzen uns für ihre Interessen ein und klären über ihre Bedürfnisse auf. So wollen wir zu einer erhöhten gesellschaftlichen Teilhabe von Krebsüberlebenden im erwerbsfähigen Alter beitragen.“ http://leben-nach-krebs.de/

Marie Rösler: „Landeskrebsgesellschaften können die zentrale Anlaufstelle im Sinne eines One-Stop-Servicecenters für Betroffene und Langzeitüberlebende gleichermaßen sein – wenn die Finanzierung gesichert wäre.“

Marie Rösler
Quelle: Babnik/DKG

Können die Landeskrebsgesellschaften als One-Stop-Servicecenter fungieren und den Bedarf decken? „Im Prinzip: ja“, sagt Marie Rösler, Bremer Krebsgesellschaft. „Die 126 Krebsberatungsstellen der 16 Landeskrebsgesellschaften sind ideale Anlaufstellen für Menschen mit und nach Krebserkrankungen. Wir bieten eine breite fachliche Kompetenz, Unabhängigkeit von den Leistungssystemen, wir sind vernetzt in unserer Region, sind auch für Langzeitüberlebende eine zentrale Anlaufstelle oder können sie sein. Wir bieten einen niederschwelligen Zugang; wir nehmen uns Zeit für die Ratsuchenden, das ist uns ganz wichtig, und die Beratung ist für Ratsuchende kostenfrei. Aber: Wir sind zwar in jedem Bundesland aktiv, aber nicht in jedem Ort – gerade in Flächenstaaten sind Beratungsstellen rar und die Wege weit. Dazu kommt, dass die Finanzierung unsicher ist: Die Krebsberatungsstellen sind auf Spenden angewiesen. Bremen zum Beispiel ist ausschließlich spenden- und mitgliedsgefördert, erhält keinerlei öffentliche Mittel. Andere Krebsberatungsstellen haben eine Mischfinanzierung, das ist ein sehr fragiles System, sodass die Kontinuität auf lange Sicht nicht sichergestellt werden kann. Das ist unser Problem. Landeskrebsgesellschaften können also als zentrale Anlaufstelle für Betroffene und Langzeitüberlebende ausgebaut werden – wenn die Finanzierung für ein flächendeckendes Angebot gesichert ist. Im Krankenhaus gibt es psychosoziale Unterstützungsangebote. Dort funktioniert die Versorgung in der Regel gut. Nach der Entlassung oder wenn die Patienten in niedergelassenen onkologischen Schwerpunktpraxen behandelt werden, fehlen diese Angebote. Dann sind die Betroffenen vielfach auf sich allein gestellt und haben keine festen Ansprechpartner.“
Bedeutende Akteure für mehr berufliche Teilhabe seien die Bundesagentur für Arbeit und die Arbeitgeber, so Marie Rösler. Für Betroffene, die gesundheitlich soweit stabilisiert sind, dass sie teilweise berufstätig sein könnten, müssten Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung stehen, die die Beeinträchtigungen berücksichtigen. Wichtig sei, dass alle Akteure – Krankenversicherung, Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit und Arbeitgeber - zusammenarbeiten. Es müsse eine gemeinsame Verpflichtung zur Erwerbsteilhabesicherung geben. Denkbar seien zudem Modelle, die die Menschen teilweise, stundenweise im Arbeitsleben ließen, damit sie gar nicht erst aus dem Arbeitsleben fielen – also ein GKV-Teilkrankengeld. Und die jetzige Dauer der Krankengeldzahlung müsse bei den heute teilweise sehr langen Behandlungszeiten ausgedehnt werden, um zu verhindern, dass Betroffene aufgrund der Behandlungsdauer in der Erwerbsminderungsrente landen. Ärzte müssten sich stärker der Themen Langzeitfolgen und Nachsorge annehmen. Marie Rösler: „Nicht zuletzt muss die Politik sensibilisiert werden. Krebs – das ist kein Todesurteil. Es ist aber auch nicht alles wieder gut, wenn man Krebs überstanden hat.“

Prof. Dr. Mathias Freund: „Wir müssen die Probleme von jungen Krebspatienten stärker beachten. Deshalb haben wir die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs gegründet.“

Prof. Dr. Mathias Freund
Quelle: Babnik/DKG

Prof. Dr. Mathias Freund, (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie) stellt die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs vor. Sie wurde 2014 in Berlin gegründet und ist ein Beispiel für zivilgesellschaftliche Initiativen und Forschungsförderung. Prof. Freund: „Ich denke, es ist unglaublich wichtig, dass wir mit Initiativen in die Öffentlichkeit gehen und dass wir eine noch größere Wahrnehmung schaffen für die Probleme von jungen Krebspatienten sowie für die Probleme, die die Behandlung später verursacht, und für die langfristige Perspektive. Vor diesem Hintergrund haben wir diese Stiftung gegründet. Wir möchten die Erforschung von Langzeitnebenwirkungen und sozialen Folgen der Krebserkrankungen fördern. Dafür vergeben wir Promotionsstipendien. Wir förderten zunächst Arbeiten von jungen Forscherinnen, die sich mit Fragestellungen beim Mammakarzinom und beim Ewing-Sarkom beschäftigen. Wir setzen uns darüber hinaus für die Verbesserung der Versorgung und die Beratung der Krebspatienten ein. Wir haben dafür ein besonderes Programm. Wir organisieren Spezialsprechstunden für Überlebende nach Krebs. Wir greifen dabei auf bestehende Angebote zurück. Die spezielle Situation der jungen Betroffenen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, das ist uns ein ganz wichtiges Anliegen. Wir glauben, man wird auf die Politik nur einwirken können, wenn genug Druck aus der Öffentlichkeit vorhanden ist, und wenn dort ein Bewusstsein geschaffen wird. Ohne das wird es nicht gehen. Und das ist ganz entscheidend mit einem Kampf gegen Stigmatisierung verbunden.“

Die Stiftung habe ein Flaggschiff, so Dr. Freund. Es sei das Beratungsportal www.jungeskrebsportal.de, das Schritt für Schritt wachse. Im ersten Ausbauschritt gehe es um eine sozialmedizinische Beratung von jungen Krebskranken zwischen 18 und 39, um das Eröffnen von Möglichkeiten, um Tipps. „Im nächsten Schritt werden wir das Thema endokrinologische Probleme,  Probleme des Hormonhaushalts aufgreifen“, so Prof. Freund. „Der weitere Ausbau wird sein, dass wir mit der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie kardiologische Probleme aufbereiten und vielleicht auch Studien machen. Fertilitätserhaltung und Fatigue werden ebenfalls Thema sein.“  Das Portal sei natürlich nicht die einzige Initiative, die die Stiftung mache. Ziel aller Aktivitäten sei es, das Anliegen junger Krebspatienten aus dem Verborgenen, aus dem Verschwiegenen herauszuholen und sichtbar zu machen, um die Politik unter Handlungsdruck zu setzen. https://www.junge-erwachsene-mit-krebs.de/

Hubert Seiter: „Wir können noch so viele Berater etablieren – es funktioniert nicht, wenn sich das Kranken- und Rentenversicherungssystem wehrt, systemübergreifend zusammenzuarbeiten, um Menschen zu helfen.“

Hubert Seiter
Quelle: Babnik/DKG

Hubert Seiter, Erster Direktor a.D. Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, sprach in seinem Vortrag über die Herausforderungen für die Kranken- und Rentenversicherung. „Bei den Sozialleistungsträgern stehen Betroffenen nicht selten eine Macht an Bürokratie und formaler Kompetenz gegenüber. Diese Dominanz der Experten kann - wenn man es genau nimmt – Hilfe suchende und zudem kranke Laien fertigmachen“, so Hubert Seiter. „Da können wir noch so viel unabhängige Berater etablieren – das funktioniert nicht, wenn sich primär sektoral denkende Experten abwehrend oder hinhaltend verhalten. Deswegen müssen wir ihnen Lust darauf machen, mitzumachen.  Wir müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kranken- und Rentenversicherung davon überzeugen, dass es sich lohnt, Menschen mit Handicap mit allen Mitteln zu helfen. Dass es nicht nur darum geht, die Gesetze anzuwenden, die sie als Mitarbeiter der Kranken- oder Rentenversicherung jeweils unmittelbar verpflichten. Dass es vielmehr auch sehr lohnend ist, sektorenübergreifend nach angemessenen Lösungen zu suchen. Das SGB IX verpflichtet im Übrigen seit gut 15 Jahre dazu. Das Entscheidende ist also zum Beispiel für die Rentenversicherung: rechtzeitig und umfassend festzustellen, welche Ressourcen im Einzelfall noch vorhanden sind, was noch geht. Danach sind alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Menschen im Erwerbsleben zu halten. Selbstverständlich gelingt dies nur partizipativ, das heißt auf Augenhöhe mit einem Hilfesuchenden. Wenn nötig muss man daher auch Sozialleistungsträger bzw. deren  Selbstverwaltung dazu auffordern, Initiativen zu finanzieren, die - wie zum Beispiel die Krebsberatung in den Landeskrebsgesellschaften – den Ratsuchenden dabei unterstützen. Im Klartext: Es kann also nicht sein, dass unterstützende Beratungebote nur spendenfinanziert sind. Spendengelder sind vielmehr zusätzlich erforderlich, um den Beratungstellen zu ermöglichen, sich und ihr wichtiges Angebot für schwer kranke Menschen der Politik, den Sozialleistungsträgern, der Öffentlichkeit bekannt zu machen, um so die Anerkennung, die Finanzierung und damit letzlich den Erhalt dieses wichtigen Angebots zu sichern. Spenden braucht man auch für innovative Projekte.
In Baden-Württemberg ist diese Botschaft angekommen. Das Land, die Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung  beteiligen sich mit 1,2 Millionen Euro an der Finanzierung der Krebsberatungsstellen, bis dann hoffentlich 2019 eine bundesweite Regelung kommt. Es geht also, wenn man will. Wenn ich schon beim Loben bin: Eine sehr wichtige Leistung der großen Koalition wird aktuell noch zu wenig gewürdigt, das Flexi-Gesetz. Es geht nun viel einfacher, Teilzeitarbeit und eine Teilrente zu kombinieren. Gerade für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen ist die unbürokratische Verbindung von Arbeit und Rente sehr hilfreich, um angemessen in Beruf und Gesellschaft teilhaben zu können. Voraussetzung ist dazu, und zwar keinesfalls nur bei krebskranken Menschen: eine umfassende und vertrauensvolle Beratung."

Prof. Dr. Peter Albers: „Ich würde mir wünschen, dass es quasi eine Verpflichtung gäbe, aus dem Krankenhaus heraus in die Servicecenter zur Beratung zu gehen.“

Prof. Dr. Peter Albers
Quelle: Babnik/DKG

Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, plädierte in seinem Beitrag für eine Verpflichtung, nach der Krankenhausbehandlung ein Servicecenter eine Beratung aufzusuchen und Informationen bzw. Unterstützung zu bekommen. Er erläutert das aus der Erfahrung mit Hodentumorpatienten: „Menschen mit Hodentumoren sind nach zwei Jahren gesund, und nicht nach fünf Jahren. Sie haben unglaubliche Schwierigkeiten, ihrem Arbeitgeber und den Versicherungen gegenüber zu begründen, dass sie nach drei und vier Jahren eben nicht mehr rezidiv gefährdet sind. Nach zwei Jahren sind die gesund. Und sie möchten wieder arbeiten, sie möchten wieder in den Beruf zurück. Für diesen Übergang brauchen sie ebenfalls Beratung. Ich würde mir wünschen, dass wir die Stringenz, die wir in der Anschlussheilbehandlung haben, auch hier hätten. Dass es quasi eine Verpflichtung gäbe, aus dem Krankenhaus direkt zum Servicecenter zu gehen und umfassend informiert zu werden, zum Beispiel über Langzeitfolgen. Wir haben bei Hodentumorpatienten später eine dreifach höhere Herzinfarktrate. Wir wissen, dass die Patienten 20 Jahre später ein metabolisches Syndrom bekommen. Chronische Nierenerkrankungen. Erstaunlich wenig psychische Erkrankungen, das hat man gesehen. Aber knallharte Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Fertilitätsprobleme. Das sind alles Dinge, die man verhindern kann, wenn man es weiß, wenn es die Betroffenen wissen. Hier sehe ich die Rolle der Servicecenters, nämlich zu sagen: Du hast die und die Chemotherapie gehabt, also hast du in 20 Jahren die und die Folgen. Dem können wir verbeugen. Und dieses vorausschauende Handeln wird dann bald auch volkswirtschaftlich relevant, davon bin ich überzeugt, denn wir sprechen allein bei den Hodentumoren wirklich in 10.000er Zahlen. Wir wissen ganz genau, was für Langzeitfolgen die Patienten haben. Man muss aber auch sagen: Es fängt bei uns Ärzten an. Wir müssen mehr organerhaltende Operationen wagen, dann hätte man auch viele Folgeschäden gar nicht, die man später aufwändig behandeln muss. Also das Thema ist schon sehr differenziert, aber worauf ich hinaus will: Ich würde mir wünschen, dass der krebserkrankte Patient aus dem Krankenhaus eine quasi Verpflichtung hat, sich als nächstes an einen Servicepunkt zu wenden. Dieser Servicepunkt muss so gut und qualitativ organisiert sein, dass er die verschiedenen Aspekte abdecken kann."

Karin Maag: „Mein Fazit ist: Wir müssen noch stärker Kräfte bündeln. Und das kann auch politisch im Deutschen Bundestag stattfinden.“

Karin Maag
Quelle: Babnik/DKG

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurden verschiedene Handlungsfelder angesprochen, viele Ideen sogar direkt an die Politik adressiert. Karin Maag, Mitglied des Deutschen Bundestages und unter anderem im Gesundheitsausschuss aktiv, nahm viele Vorschläge mit. „Ich habe notiert: Selbsthilfegruppen einladen. Es gibt den Gesundheitsausschuss, es gibt so schöne Runden wie die parteiinterne Vorbereitung von Gesundheitsausschusssitzungen, das nennt sich AGs, und da kann man zum Beispiel Selbsthilfegruppen einladen, die ihre Sicht auch entsprechend zu Gehör bringen.

Für die Frage, was braucht der Patient, sollten ebenso alle Sozialleistungsträger an einen Tisch gebracht werden. Dann habe ich mir noch das Thema Servicecenter aufgeschrieben und die Idee einer verpflichtenden Nachbehandlung.
Es ist nicht so, dass wir im Elfenbeinturm sitzen, sondern schon immer mit Selbsthilfegruppen, mit niedergelassenen onkologischen Ärzten, mit Krankenhäusern und mit den Leitern dieser Einrichtungen geredet haben. Thematisiert wurde zum Beispiel: Wir brauchen einen Lotsen durch die Behandlung. Ich lerne heute: Wir brauchen nicht nur einen Lotsen durch die Behandlung, sondern weiter gehend, darüber hinaus. Wir brauchen ebenso eine Präha. Das ist so etwas Ähnliches wie eine Reha, aber am Anfang einer Behandlung, weil jeder Patient zunächst mal mit der Krebsdiagnose heillos überfordert ist. Dabei gehe es darum, mit einem Betroffenen noch vor Behandlungsbeginn Themen zu besprechen, die ihm sowohl unmittelbar medizinisch bevorstehen, die sozialrechtlich zu regeln sind oder die irgendwann auftauchen als Spätfolge. Die Reha am Ende ist so schlecht nicht, weil der Betroffene nun in einen neuen Lebensabschnitt kommt und da auch sehr offen ist für eine Beratung, ein Coaching oder Unterstützungsleistungen. Mein Fazit ist: Wir müssen noch stärker Kräfte bündeln. Und das kann auch politisch im Deutschen Bundestag stattfinden.“

Referenten:
Prof. Dr. Peter Albers (Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft); Dr. Johannes Bruns (Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft); Arik Hayut (Musiker, Berlin); Franziska Krause (Studentin, Berlin); Karin Maag (Mitglied des Deutschen Bundestages, Gesundheitsausschuss); Prof. Dr. Mathias Freund (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie, Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, Berlin); Marie Rösler (Bremer Krebsgesellschaft); Anne Katrin Hülsmann (Leben nach Krebs! e.V., Berlin); Hubert Seiter (Erster Direktor a.D. Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg)

Moderation: Thomas Hegemann

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