Die Zukunft der Arzneimittelzulassung

 

Brennpunkt Onkologie vom 14.03.2012:
Die Zukunft der Arzneimittelzulassung – strategische Chancen und (Un-)Möglichkeiten 

Beim Brennpunkt Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft am 14.3.2012 stand die Zukunft der Arzneimittelzulassung im Mittelpunkt. Diskutiert wurden sowohl die strategischen Chancen als auch die (Un)möglichkeiten. Denn Kritiker fürchten, dass die aktuellen Zulassungsvorschriften die Entwicklung innovativer Medikament behindern könnten.

Der Skandal um Thalidomid (Contergan) Anfang der 1960er Jahre war die gedankliche Geburtsstunde der Zulassungsvorschriften, die heute in Deutschland gelten. Laut Herbert Wartensleben, Fachanwalt für Medizinrecht aus Stolberg, galt zu damaligen Zeiten für ein neues Arzneimittel die Toxizität im Tierversuch als einziges Prüfkriterium – andere Parameter wie Teratogenität oder Wirksamkeit fehlten. Dies änderte sich nach seinen Angaben erst 1978 mit Einführung des Arzneimittelneuordnungsgesetzes, das das Arzneimittelgesetz von 1961 ablöste. Hier sei erstmals festgelegt worden, dass für eine Arzneimittelzulassung eine Prüfung gemäß dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft erfolge, betonte Wartensleben.

Seit Einführung des AMNOG (Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes) 2011 muss aus ökonomischen Gründen jetzt zudem der G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) drei Monate nach Marktzulassung eines neuen Arzneimittels eine Nutzenbewertung vornehmen, mit der er das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) beauftragen kann. Kritiker warnen, dass die neuen Rahmenbedingungen Probleme nach sich ziehen könnten. So befürchtet Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, eine Behinderung der Entwicklung innovativer Medikamente, die besonders in der Onkologie existenziell sein könne.

Spezialfall Onkologie

In der Onkologie ist das Zulassungsverfahren laut Dr. Karl Broich inzwischen EU-weit sehr stark harmonisiert. Während in Studien lange Zeit harte Endpunkte wie Überleben oder Heilung gefordert worden seien, würden heute viele davon ausgehen, dass das progressionsfreie Überleben für den Patienten eine höhere Relevanz habe, führte der Vizepräsident des BfArM (Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte) fort. Zudem werde man zunehmend mit der Frage der klinischen Relevanz konfrontiert (Wie viel Überleben ist bei welcher Lebensqualität für den Patienten wirklich ein Zugewinn?). Auf den Vorwurf, das Zulassungssystem sei zu komplex und behindere daher Innovationen, entgegnete Broich, in der Onkologie würde heute oft auf eine Bestätigung der pivotalen Studie für die Zulassung verzichtet, um diese zu beschleunigen.

Probleme des heutigen Zulassungssystems

Wie er einräumte, werden durch die aktuelle Zulassungssituation jedoch Innovationen oft erst für das Spätstadium einer Erkrankung entwickelt, obwohl eventuell ein früherer Einsatz sinnvoller wäre. Daher gebe es inzwischen auf europäischer Ebene Überlegungen, die Studien beispielsweise durch Biomarker stärker zu optimieren und die Zulassung zunächst auf eine enge Patientenpopulation zu beschränken, anschließend aber eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Damit solle allerdings keinesfalls ein breiter Off-label-Einsatz provoziert werden, der nicht im Sinne einer Zulassungsbehörde sei, hob Broich hervor. Daher müsse das BfArM im Einzelfall sehr genau prüfen, ob die jeweiligen Studienkonzepte sinnvoll seien und dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprächen.

Als weiteres Problem nannte Broich den Unterschied zwischen dem Nutzen für den Patienten, den das BfArM anstrebt, und dem Mehrnutzen, der eine Mehrzahlung rechtfertigt und beim IQWiG im Mittelpunkt steht. Daher würden derzeit teilweise in Studien vom BfArM andere Vergleichsgruppen gefordert als vom G-BA.

Laut Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, treffen die evidenzbasierten Erkenntnisse aus Zulassungsstudien nur auf einen Teil der Patienten zu, da viele beispielsweise aufgrund des Alters oder der Komorbiditäten nicht mit der Studienpopulation übereinstimmen. Für einige gebe es Phase-IV-Daten, bei anderen müssten die Medikamente off label eingesetzt werden. Daher forderte er, auch für diese Patienten Studien durchzuführen. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, sprach sich ebenfalls dafür aus, nach der Zulassung versorgungsrelevante Fragen in Studien zu klären. Ärzte müssten hier viel engagierter kämpfen und aktiver werden, hob er hervor.

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Versorgungsepidemiologe der Universität Greifswald, schlug vor, bei der Versorgungsforschung die Tumorzentren einzubeziehen. Birgit Fischer vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen vfa hielt bei derartigen Studien eine öffentliche Förderung für notwendig. Prof. Dr. Axel Heyll vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen hob hervor, wenn der Nutzen in Postzulassungsstudien gezeigt würde, sei auch ein höherer Preis eines Arzneimittels gerechtfertigt. Er forderte als Minimum, individuelle Heilversuche in klinischen Registern zu erfassen, damit sie der Allgemeinheit Erkenntnisse bringen.

Prof. Dr. Dirk Arnold vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf merkte an, es seien viele Übersetzungsstufen nötig, um den Nutzen aus klinischen Studien auf individuelle Patienten herunterzubrechen; dies schränke die Genauigkeit der Vorhersage ein. Er sehe sich als Advokat des Patienten, dessen Hauptmaxime nicht das wirtschaftliche Denken sein könne, weil dies die ärztlichen Handlungsfreiheiten einschränke.

Onkologie als lernendes System

Um die offenen Probleme lösen zu können, müssen nach Ansicht von DKG-Generalsekretär Bruns Ärzte Freiräume, die das System ihnen lässt, verantwortlich nutzen und aktiv darum werben, sinnvolle Konzepte für die Behandlungsrealität zu entwickeln. Da Politiker die Komplexität nicht überblicken könnten, sei es wichtig, dass sich Ärzte auch außerhalb ihres Berufsalltags engagierten und zum Beispiel im Bundesausschuss ihre Sicht darstellten, so sein Appell an die Kollegen. Bruns sieht in der Onkologie ein lernendes System, zu dessen Verbesserung alle Beteiligten beitragen müssen.

Teilnehmer der Veranstaltung

Prof. Dr. Dirk Arnold (Klinikum Hamburg-Eppendorf), Dr. Karl Broich (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), Dr. Johannes Bruns (DKG), Birgit Fischer (vfa – Die forschenden Pharmaunternehmen), Prof. Dr. Axel Heyll (Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen), Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann (Universität Greifswald), Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft), Herbert Wartensleben (Rechtsanwalt). Die Moderation übernahm Thomas Hegemann.